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Hassrede: Nachholung im Prozess: unterlassene Anhörung vor Löschung eines Posts bei Facebook

| Hassrede oder freie Meinungsäußerung? Das beschäftigt häufig die Gerichte. Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs (BGH) sind die Regelungen in den Nutzungsbedingungen unwirksam, die Facebook in einem Fall der Hassrede eine Befugnis zur Löschung dieses Posts einräumen. Sie sehen kein Verfahren vor, aufgrund dessen der betroffene Nutzer über die Entfernung umgehend informiert, ihm der Grund dafür mitgeteilt und eine Möglichkeit zur Gegenäußerung eingeräumt wird, woran sich eine neue Entscheidung mit der Möglichkeit der Wiederfreischaltung des Posts anschließt. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat nun entschieden, dass die fehlende Anhörung seitens der Beklagten im Verfahren nachgeholt werden kann. Außerdem hat es entschieden: Wenn die Anhörung zu keiner anderen Bewertung führt, kann der betroffene Nutzer dann nicht die Wiederfreischaltung des Posts beanspruchen. Das Löschungsrecht ergebe sich in diesem Fall bei einem vertragswidrigen Post aus dem Nutzungsvertrag. | 

Das war geschehen

Die Beklagte ist in Deutschland Vertragspartnerin der Nutzer von Facebook. Der Kläger stimmte den im April 2018 geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten zu. Im November 2018 postete er im Zusammenhang mit einem Artikel über die gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Afghanen in einer Flüchtlingsunterkunft, in deren Verlauf diese untereinander Messer eingesetzt hatten, u.a.: „Solange diese sich gegenseitig abstechen ist es doch o. k. Ist jemand anderer Meinung? Messer-Emoji“. Die Beklagte löschte diesen Beitrag und sperrte außerdem vorübergehend Teilfunktionen des klägerischen Kontos. Der Kläger begehrte daraufhin vor dem Landgericht (LG) unter anderem die Freischaltung des gelöschten Beitrags. Das LG hat die Klage abgewiesen. 

Berufungsinstanz: Kein Anspruch auf Wiederfreischaltung

Die hiergegen gerichtete Berufung hatte auch vor dem OLG keinen Erfolg. Der Kläger habe auch keinen Anspruch auf Wiederfreischaltung des gelöschten Posts. Der Post sei zwar eine Meinungsäußerung. Er verstoße aber gegen die über die Nutzungsbedingungen einbezogenen Bestimmungen in den Gemeinschaftsstandards zur Hassrede. Der Begriff der Hassrede sei hinreichend transparent und in den Regelungen selbst definiert worden. Erfasst würden u.a. „Angriffe durch eine gewalttätige und entmenschlichende Sprache, durch Aussagen über Minderwertigkeit und durch Aufrufe, Personen auszuschließen und zu isolieren“. Die Beklagte sei auch berechtigt, ein Verbot von Hassrede vorzusehen, „durch das auch nicht strafbare oder rechtsverletzende Meinungsäußerungen erfasst werden“. Sie dürfe den Nutzern ihres Netzwerks bestimmte Kommunikationsstandards vorgeben, die über die strafrechtlichen Vorgaben hinausgingen. Die Verhaltensregeln sollten einen Kodex für „einen respektvollen Umgang miteinander“ enthalten. 

Post entspricht den Merkmalen von Hassrede

Hier verstehe der flüchtige Leser die Äußerung so, dass es dem Kläger „gleichgültig ist bzw. er es in Ordnung finde, wenn afghanische Flüchtlinge sich gegenseitig abstechen“. Dies unterfalle dem Bereich der Hassrede. 

Bundesgerichtshof: Regelungen zum Löschen von Posts unwirksam

Soweit die Löschung des Posts erfolgte, ohne den Kläger umgehend zu informieren und ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme mit anschließender Neuentscheidung zu gegeben, könne die Beklagte sich zwar nicht auf ihre Regelungen zum Entfernungs- und Sperrvorbehalt berufen. Diese seien gemäß der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) unwirksam. 

Anhörung erfolgte nachträglich im Prozess

Die Beklagte sei aber zur Löschung unmittelbar aus dem Nutzungsvertrag berechtigt. Die Verfahrensanforderungen zur Information des Betroffenen über die Löschung ergäben sich aus einer ergänzenden Vertragsauslegung. Durch die Unwirksamkeit der Klausel über den Entfernungs- und Sperrvorbehalt sei im vertraglichen Gefüge eine Lücke entstanden, die im Wege der Auslegung zu schließen sei. Über diese ergänzende Vertragsauslegung sei die Beklagte verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung eines Beitrags zu informieren und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme und Neuentscheidung zu geben. Dies sei im Rahmen des hiesigen Prozesses nachgeholt worden. Der anfängliche Anhörungsfehler sei damit nachträglich geheilt worden. 

Grundsätzliche Bedeutung: BGH muss klären

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Das OLG hat wegen grundsätzlicher Bedeutung die Revision zum BGH u.a. hinsichtlich des dargestellten Antrags auf Wiederherstellung des gelöschten Artikels zugelassen. 

Quelle | OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 30.6.2022, 16 U 229/20, PM 54/22

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