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Kündigung des Arbeitnehmers während seiner Arbeitsunfähigkeit

I. Beispielsfall

Arbeitnehmer A ist seit dem 17.10.2014 aufgrund eines Arbeitsunfalls bis zum 02.12.2014 krankgeschrieben. Darüber hinaus hat er nun eine Grippe und kann eine weitere Woche nicht arbeiten, sodass er bis zum 09.12.2014 ausfallen wird. A befürchtet nun aufgrund seiner Ausfälle arbeitsrechtliche Konsequenz z.B. in Form einer Kündigung, da das Verhältnis zwischen dem Chef C und ihm momentan aufgrund seiner Erkrankung in keinem guten Licht steht.

1.    Unter welchen Bedingungen hat C einen Anspruch auf Kündigung, wenn sein Betrieb nicht dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) unterfällt?

2.    Unter welchen Bedingungen hat C einen Anspruch auf Kündigung, wenn sein Betrieb dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) unterfällt?

3.    Verstößt eine krankheitsbedingte Kündigung gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB?

II. Voraussetzungen
Im Folgenden werden die aufgeworfenen Fragen geklärt.

Frage 1:
C darf Anspruch kündigen, wenn sein Betrieb nicht dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG) unterliegt. Maßgeblich für das Vorliegen des Kündigungsschutzes ist § 23 I KSchG. Dieser besagt, dass der Kündigungsschutz erst ab einer Anzahl von mehr als 10 Arbeitnehmern in einem Betrieb entsteht.

Für die Entstehung des Kündigungsschutzes war jedoch ab dem 01.01.2004 zu unterscheiden, da bis zum 31.12.2003 der Kündigungsschutz bei einer Anzahl von mehr als 5 Arbeitnehmern in einem Betrieb entstand. Waren in einem Betrieb ab 01.01.2004 mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, besteht der Kündigungsschutz unproblematisch nach § 23 I S. 3 KSchG. Waren in einem Betrieb bis zum 31.12.2003 mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, besteht der Kündigungsschutz nach „neuem Recht“ ebenfalls. Waren jedoch bis zum 31.12.2003 nicht mehr als 5 Arbeitnehmer in einem Betrieb beschäftigt, dann entsteht der Kündigungsschutz erst, wenn mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt werden. Waren in einem Betrieb am 31.12.2003 aber mehr als 5 Arbeitnehmer, aber nicht mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt, greift die Bestandsschutzregelung aus § 23 I S. 3 Halbs. 2. Für Arbeitnehmer, die ab dem 01.01.2004 eingestellt werden, entsteht der Kündigungsschutz erst, wenn der Schwellenwert von 10 Arbeitnehmern überschritten wird, während für die „alten“ Arbeitnehmer der bisherige Schwellenwert von mehr als 5 Arbeitnehmern bleibt. Ist die Anzahl der „alten“ Arbeitnehmer aber auf 5 oder darunter gesunken, erlischt der Kündigungsschutz auch für diese Gruppe und entsteht bei Neueinstellungen erst dann wieder, wenn der Schwellenwert von mehr als 10 Arbeitnehmer überschritten wird. (vgl. Erfurter Kommentar, 15. Auflage 2015, § 23 Rn. 9; Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2007, 438, Rn. 14 ff.)

Im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer zählen bei der Berechnung des Schwellenwertes des Inlandsbetriebs grundsätzlich nicht mit. Das Arbeitsverhältnis muss in jedem Fall deutschem Recht unterliegen. (vgl. Erfurter Kommentar, § 23 Rn. 13; Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2012, 148 Rn. 28)

Wenn der Betrieb des A dem Kündigungsschutzrecht nicht unterliegen sollte, dann hat der C einen Anspruch auf Kündigung unter Wahrung eines gebotenen Mindestschutzes des Arbeitnehmers.
Dieser gebotene Mindestschutz des Arbeitnehmers aus Art. 12 GG ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Urteil vom 27.01.1998 – Aktenzeichen – 1 BvL 15/87, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 1998, 470, 471 f.) sowie des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG Urteil vom 21.02.2001- Aktenzeichen – 2 AZR 15/00 ; Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2003, 717 f.) vor dem Verlust des Arbeitsplatzes auch in Betrieben, in denen das KSchG nicht zu Anwendung gelangt, zu gewährleisten. Der gebotene Mindestschutz darf zwar nicht dazu führen, dem Arbeitgeber im Ergebnis die nach dem KSchG geltenden Maßstäbe der Sozialwidrigkeit wieder aufzuerlegen, aber ihm ist z.B. durch zivilrechtliche Generalklauseln wie etwa §§ 138, 242 BGB die sittenwidrige, rechtsmissbräuchliche, gesetzeswidrige oder auch sonstige Kündigung, bei der er nicht wenigstens ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme wahrt, verwehrt. Hierzu zählt auch die Kündigung, deren Ausspruch gegen das in § 612a BGB verankerte Maßregelungsverbot verstößt. (vgl. ArbG Trier, Urteil vom 08.12.2011 – 3 Ca 936/11 – zitiert nach juris)

Dementsprechend kann der A, angenommen sein Betrieb unterliegt nicht dem KSchG, nicht aus jeglichen bzw. willkürlichen Gründen gekündigt werden. C hat also grundsätzlich einen Anspruch auf Kündigung, aber er muss dabei die durch die Rechtsprechung auferlegten Grenzen einhalten. Ob eine krankheitsbedingte Kündigung gegen das in § 612a BGB verankerte Maßregelungsverbot verstößt, ist der Antwort auf die Frage 3 zu entnehmen.

Frage 2:
C hat einen Anspruch auf Kündigung, wenn sein Betrieb dem Kündigungsschutzgesetz unterliegt, wenn sie nach § 1 I KSchG sozial gerechtfertigt ist und das Arbeitsverhältnisse zwischen A und ihm länger als sechs Monate in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung bestanden hat. Ob eine Kündigung nach § 1 I KSchG sozial gerechtfertigt ist, ist § 1 II S. 1 KSchG zu entnehmen. Dieser sagt, dass eine Kündigung ungerechtfertigt ist, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person (personenbezogene Kündigungsgründe) oder in dem Verhalten (verhaltensbedingte Kündigungsgründe) oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen (betriebsbedingte Kündigungsgründe), bedingt ist. Das heißt, dass eine Kündigung nur bei personenbezogenen, verhaltensbedingten oder betriebsbedingten Kündigungsgründen sozial gerechtfertigt ist.

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts setzt die Wirksamkeit einer auf häufige Kurzerkrankungen gestützte ordentliche Kündigung zunächst eine negative Gesundheitsprognose voraus. Diese ist gegeben, wenn im Kündigungszeitpunkt objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung sprechen. Grundlage für eine solche Prognose ist ein Zeitraum von drei Jahren vor Kündigung. Die prognostizierten Fehlzeiten sind aber nur dann geeignet eine krankheitsbedingte Kündigung zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer solchen Beeinträchtigung führen.

Ist dies der Fall, ist im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen. Alle drei Voraussetzungen müssen für die Wirksamkeit der Kündigung vorliegen. Fehlt es an einer dieser Voraussetzungen, dann ist auch die Kündigung unwirksam. (vgl. BAG, Urteil vom 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13 – zitiert nach juris)

C hat also grundsätzlich einen Anspruch auf Kündigung. Diese ist aber nur unter engen Voraussetzungen sozial gerechtfertigt. Im konkreten Fall sind die Voraussetzungen, die das
Bundesarbeitsgericht an eine Kündigung stellt, bei A noch nicht erfüllt. Dementsprechend hat C kein Anspruch darauf den A zu kündigen.

Frage 3:
Angenommen der C kündigt den A, nachdem er am 18.10.2014 von der Krankschreibung erfährt, wegen der langen, krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des A, die den C verärgert. Eine Kündigung des C ist, unabhängig davon ob der Betrieb dem KSchG unterfällt oder nicht, nur wirksam, wenn sie nicht gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB verstößt.

Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise sein Recht ausübt. Als Maßnahme in diesem Sinne kommt auch der Ausspruch einer Kündigung in Betracht. (vgl. BAG Urteil vom 23.04.2009 – Aktenzeichen – 6 AZR 189/08; ArbG Trier, Urteil vom 08.12.2011 – 3 Ca 936/11 – zitiert nach juris)

Weiter bedarf es eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung, wobei die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund, d.h. das wesentliche Motive für die benachteiligende Maßnahme, z.B. für die Kündigung, sein muss. Wurde der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers sogar ausschließlich durch die zulässige Rechtsverfolgung des Arbeitnehmers bestimmt, verstößt die Kündigung selbst dann gegen § 612a BGB, wenn sie auch auf einen anderen, die Kündigung rechtfertigenden Sachverhalt hätte gestützt werden können. (ArbG Trier, Urteil vom 08.12.2011, a.a.O.)

Im konkreten Fall hat C die Kündigung auf die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit, die ihn aufgrund der Dauer verärgert, gestützt. Der Anwendungsbereich des § 612a BGB ist somit eröffnet, da der C den A die Kündigung ausspricht, weil dieser in zulässiger Weise sein Recht, nämlich aufgrund Arbeitsunfähigkeit nicht am Arbeitsplatz zu erscheinen, ausübt.

Erkrankt der Arbeitnehmer nämlich arbeitsunfähig, entpflichtet ihn das Gesetz nach § 275 I BGB oder auch § 616 BGB von seiner nach dem Vertrag an sich fortbestehenden Arbeitsverpflichtung und räumt ihm daher das Recht ein, der Arbeit fern zu bleiben. (ArbG Trier, Urteil vom 08.12.2011, a.a.O.)

Darüber hinaus besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Benachteiligung und der Rechtsausübung, da der C unmittelbar nach Kenntnis über den langen Arbeitsausfalls des A die Kündigung ausgesprochen hat. Des Weiteren ist auch die zulässige Rechtsausübung des A auch der tragende Beweggrund, also das wesentliche Motive, für die Kündigung. Dementsprechend würde die Kündigung des C gegen das Maßregelungsverbot aus § 612a BGB verstoßen und somit wäre die Kündigung unwirksam.

Angenommen der C würde den A erst am 09.12.2014, nachdem er wieder gesund auf dem Arbeitsplatz erscheint, wegen seines Arbeitsausfalls kündigen, dann würde dies ebenfalls gegen das Maßregelungsverbot verstoßen, da der tragende Beweggrund erneut der Arbeitsausfall, also die zulässige Rechtsausübung, ist und weil ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Kündigung und der Rechtsausübung aufgrund der zeitlichen Nähe zwischen der Kündigung und dem krankheitsbedingten Arbeitsausfall besteht.

Stütz C seine Kündigung dagegen nicht auf die Arbeitsunfähigkeit des A und nennt keine Gründe für die fristgemäße Kündigung, stehen der Wirksamkeit dieser Kündigung keine Hindernisse entgegen, es sei denn, dass A einen Verstoß gegen das Maßregelungsverbot beweisen kann.

RA Mass und stud. iur. Bleckat

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